Mittwoch, 17. Juni 2009
Kommentar
Im TIP 18/2008 wurde eine Reportage unter dem Titel „Der neue Mensch entsteht beim Bumsen” veröffentlicht. Es ist erstaunlich, dass Redaktion und Reporter dies erst im 21.Jht zur Kenntnis nehmen und dem Klapperstorch nicht mehr den Vorzug geben. Diese Reportage ist typisch klischeehaft, von überwältigender Belanglosigkeit und blühender Phantasie. Sie könnte aus wenigen Sätzen bestehen; u.a. Gregor machte Selbstmord. Er wurde in Bochum beerdigt.
Ich kannte Gregor seit seiner Ankunft in Berlin. Ich habe mich entschlossen, den Unsinn dieser Reportage zu korrigieren. Ich will keinen Kontakt zu wirren Müttern, einem voreingenommenen Bruder (gibt es den anderen Bruder und die Mutter nicht mehr?) und einem miserabel, recherchierenden Reporter.
Sofern es für einen Selbstmord Gründe geben kann, spielte das Ende einer Beziehung für ihn eine eminent wichtige Rolle. Sein Abschiedsbrief notierte das Datum November 2007. Zu diesem Zeitpunkt beendete eine Frau die Beziehung zu ihm, in die er „Mega” verliebt war. Beide verbrachten noch Mitte 2007 einen Urlaub in Rom. Nach einer Trennung sah es scheinbar nicht aus, aber sie kam abrupt. Diese Beziehung war ein gefährliches Spiel, wie er oft erzählte. Seine Flamme spielte gerne mit Männern und einige seien daran verzweifelt oder hätten Selbstmordversuche unternommen. Er blieb in vagen Andeutungen. Er ging auf das Spiel ein, ohne meine Bedenken zu berücksichtigen. Trennung und Verlust trafen ihn hart und er steigerte sich in einen Wahn, aus dem er scheinbar nicht mehr herausfand. Viele Arztbesuche halfen ihm nicht wirklich. Niemand konnte ahnen, das er Selbstmord begehen würde.
Bruder Mathias und Reporter Björn scheinen von der aktuellen Situation keine Ahnung gehabt zu haben und in der Reportage gab es psychologisches Blabla zum Kotzen (Überforderung, Angstneurose, etc.). Gregor war kein „Anhänger einer Gemeinschaft”, zog auch nicht „mit anderen Gruppenmitgliedern in eine Wohnung”, wie der TIP phantasiert. Gregor war Individualist und besaß seine eigene Wohnung. Er war kein Mitglied irgendeiner Gruppe. Er nahm an keinen „rituellen Gruppenabenden” oder Gruppensitzungen teil. Er war selbstständiger Versicherungmakler. Er arbeitete auf eigene Rechnung. Niemand kontrollierte sein Geld und seine Frauenbeziehungen. Er machte Urlaub wann, wo und wie er wollte und er fuhr einen Luxuswagen (Phaeton). Die erwähnte Wohnung war seine Privatwohnung. Nach seinem Tod war das Mietverhältnis beendet. Eine finanzielle Forderung („Liste mit Verbindlichkeiten”) stammte aus dem letzten Jahrhundert, mehr als 15 Jahre alt! Gregor besaß einen Luxuswagen, finanzielle Forderungen und Vermögen gemäß notariellem Testament! Wer kontrolliert da was oder wen oder wie?
Immer wieder hat Gregor erschütternde Details über seine Erziehung erzählt. Vermutlich hat Bruder Matthias sie verdrängt. Er hat oft erzählt, wie er den Ehrgeiz seiner Eltern durch neue und bessere Leistungen, besonders im Sport befriedigen musste. Als Resultat dieses Ehrgeizes hatte er eine Verletzung im Schultergelenk und die Schmerzen waren sein ständiger Wegbegleiter. Gemäß seinen Erzählungen wurde er als Jugendlicher von seinen Eltern solange unter die kalte Dusche gestellt, bis er ein gewünschtes Verhalten annahm. Er erwähnte immer wieder den ungestillten Ehrgeiz seines Vaters, eines Autoverkäufers, der gierig nach Geld lechzte. Vielleicht werde ich die vielen notierten Details zusammenschreiben, die er mir über all die Jahr erzählt hat. Es reichte ihm und er wollte keinen Kontakt mehr zu seiner Familie.
„Das Leben der Mitglieder ist geregelt. Die Gruppe hat irgendwann die Kontrolle über Wohnort, Finanzen, sogar das Intimleben..” schreibt allwissend und klischeehaft der TIP. Er schreibt Schwachsinn und belässt es bei gurgelnden Widersprüchen. Kostprobe: Gregor verfügte testamentarisch über sein Vermögen. Scheinbar wollte der Vater alles haben. Die Mutter einer Tochter enterbt ihre Tochter, damit sie nichts bekommt. Zwei verschiedene Vorgänge werden miteinander verglichen und in Beziehung gebracht. Einmal gieren die Eltern nach dem Geld des Sohnes; zum anderen enterben die Eltern ihre Tochter! Hat die Reportage nichts Besseres und Aktuelleres zu bieten? Hat sie den Überblick verloren? Diese Reportage ist noch nicht mal niveaulos. Sie ist trash, unsinnig und hetzerisch. Sie macht aus einem Stadtmagazin fast ein „Revolverblatt”.
Gregor lebte physisch wie ökonomisch auf großem Fuß und verkehrte mit unzähligen Frauen. Er ließ, notabene keine Party aus und war fast jeden Abend in Berlin unterwegs. Seine sexuelle Obsession zwang ihn, mit nahezu allen bekannten Frauen sexuellen Kontakt haben zu müssen und sich ständig als viel jünger ausgeben zu müssen als er wirklich war. Beim obsessiven Surfen im Internet ist ihm mehrmals ein Computer „zerschossen” worden. Kennt Bruder Matthias das „Goya”, an dem Gregor Aktionär war? Kennt Bruder Matthias Gregors Kreuzschifffahrten? Was kennt Bruder Matthias eigentlich wirklich? Die Reportage hatte an Gregors Lebenswandel kein Interesse, sondern benutzte den Selbstmord für ihre durchsichtigen Absichten. Die Beschreibung von Bruder Matthias ist Unsinn und stammt aus vergangenen Jahrzehnten, wie vieles in der Reportage.
Gregor lebte und arbeitete als Individualist. Jegliches Gruppenleben war ihm ein Gräuel. Seine Eltern und Brüder konnten von der Vorstellung nicht lassen, dass er von anderen bestimmt würde. Gregors Erklärung für diese wirklichkeitsfremde Ansicht war einfach. Eltern unterstellen anderen (manchmal auch Gruppen) jene Verhaltensweisen, die sie am liebsten selber praktizieren, aber in den Mantel der alles umgreifenden Liebe und Fürsorge kleiden. Eltern kontrollieren den Wohnort und wollen immer wissen, wo ihre Kinder wohnen. Eltern kontrollieren die Finanzen und wollen immer wissen, wo ihre Kinder arbeiten, was sie verdienen und mit dem Geld anstellen. Eltern kontrollieren den sozialen Umgang und wollen immer wissen, mit wem sich Gregor im Bett wälzt und räkelt. Verständlich, das viele diese liebevolle, elterliche Kontrolle abstoßend finden und den Kontakt auf Eis legen oder abbrechen.
Die Reportage benutzt dieses typische Klischee. Sie schreibt nicht, dass die Eltern über Gregor die absolute Kontrolle erlangen und behalten wollen, sondern diese Absichten und Interessen werden in der Projektion auf eine ominöse Gruppe versteckt. Leider gibt es diese ominöse Gruppe nicht und die Reportage, die Mütter und auch Gregors Familie haben damit ein Problem. Da es aber eine Gruppe geben muss, damit man seine Projektionen und Phantasien irgendwo unterbringen kann, wird in halsbrecherischer und atemraubender Art eine ominöse Gruppe aufs Papier gezaubert.
Wundersam ist immer wieder, was Phantasien von Reportern und Müttern so alles zustande bringen. Eine reale Existenz dieser ominösen Gruppe wird nirgendwo belegt. Gäbe es sie, würde ihre Adresse mit Sicherheit veröffentlicht. Umsomehr schwelgt die Reportage in Phantasien und Absurditäten. Diese ominöse Gruppe soll von einem Guru (alleine?) gegründet worden sein, soll einen Guru besitzen, der nie auftaucht, sich nie äußert, sondern nur mit Charlies Tante telefoniert (na toll), soll von weisen, nicht dummen Frauen geleitet werden (ist ja irre), soll eine Struktur, eine Ideologie, ein Gedankengut und Gruppenwohnungen besitzen, soll seit zwanzig Jahren existieren, soll dem TIP Radar (Na so was; wo ist es aufgestellt?) entgangen sein, soll rituelle Gruppenabende durchführen; und was noch? Dem Reporter scheint entgangen, dass diese ominöse Gruppe rituell Schmetterlinge kitzelt, Kamele pudert, Wasserfälle gurgelt und Hundeblümchen verzaubert.
Mütter, Gregors Familie wie auch die Reportage können nicht zugeben, dass es diese ominöse Gruppe nicht gibt. Für ihre Projektionen benötigen sie einen Schuldigen. Entschuldigen würden sie sich nie und die Eigenständigkeit ihrer Kinder können sie niemals akzeptieren. Mütter wie Väter sind von der Vorstellung besessen, dass ihre Kinder verführt wurden, so wie sie selbst in die Rolle Mutter und Vater gedrängt wurden. Sie können nicht loslassen, sind symbiotisch mit ihren Kindern verschmolzen. In der Reportage werden verstörte Mütter beschrieben, die gegenüber Tatsachen abgesperrt sind. Die Psychologie hat darüber Bände geschrieben und diese Mütter und Väter sollten sich eine psychologische Beratung gönnen.
Die Reportage erwähnt einen Versicherungsmakler. Diese Firma ist im Handelsregister eingetragen. Anschrift, Geschäftsleitung und Eigentumsverhältnisse sind bekannt. Welche Funktion diesen Informationen beigemessen wird, erschließt sich nicht. Die Geschäftspolitik bleibt unerwähnt. Eine Darstellung der Kundenbeziehungen oder eine Kritik der Geschäftspolitik, wie oft zu lesen, wäre naheliegend. Fehlanzeige! Klischeehaft, stereotyp, durchsichtig und beabsichtigt soll der Versicherungsmakler in Beziehung zu der selbstkonstruierten ominösen Gruppe gesetzt werden, um ihn irgendwie schaden zu wollen. Welche Funktion hat diese Reportage? Wer hat diesen Schwachsinn bezahlt? Die Reportage missbraucht den Selbstmord, um eine Firma schädigen zu wollen. Über „Gregors 24 Jahre langes Experiment” schreibt die Reportage nichts. Sie schreibt nichts über Gregors Lebenslauf, seinen Job, seine Musikinstrumente, und vieles andere. Eine Reportage würde sein Leben und seine Aktivitäten darstellen. Weil grottenschlecht recherchiert, erzählt sie Geschichten - viele sind falsch - aus den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts, mitgeteilt vom Bruder Matthias.
Natürlich hat Gregor Sport getrieben, aber mit abnehmender Tendenz. Ausdauersport soll zur Ideologie dieser ominösen Gruppe gehören. Der Reporter möge selber täglich zwei Stunden „sporten”. An- und Abfahrt, Umkleide, Duschen, dann zwei Stunden „sporten”, und noch Versicherungen verkaufen. Der gesunde Menschenverstand sagt, dass selbst Leistungssportler solch ein Pensum nicht dauerhaft absolvieren können. Die Mitglieder dieser nicht existierenden ominösen Gruppe wären also für ihren Ausdauersport einige Stunden täglich unterwegs. Qualitätsjournalismus? Mitnichten; leider TIP Reportage auf niveaulosem Niveau.
Die Reportage möchte ein verachtendes Menschenbild vermitteln. Gregor und die drei über dreißig Jahre alten Frauen werden als dumme, nichts wissende und zu verführende Opfer dargestellt. Sie waren orientierungslos, suchten Orientierung, wurden verführt und das ist fies, melden Experten. Inhaltlich ist das mies, nicht fies. Woher wissen Experten, dass sie kein Opfer einer Verführung zum Expertentum waren? Waren sie nicht während ihres Studiums orientierungslos? Woher wissen Mütter, dass sie niemals zu ihrer Mutterrolle von ihren Müttern verführt wurden? Weiß der Reporter wirklich, was er tut? Woher weiß er, dass er Reporter werden wollte und nicht dazu verführt wurde? Vermutlich wäre er lieber Musiker oder Künstler geworden, aber er wurde zum Reporter verführt, weil er orientierungslos eine Zeitung las. Es handelt sich um stereotypes, klischeehaftes Geschwätz.
Die „Experten Aussagen” treffen weder auf die in der Reportage beschriebenen Personen noch generell zu. Allen wird ein eigenständiges Leben und eine eigenständige Meinungsbildung abgesprochen. Gregors notarielles Testament wird von Bruder Matthias und Vater in Zweifel gezogen. Geht der Reporter auch mit sich so um? Fragt er seine Eltern, ob er einen Artikel schreiben oder mit seiner Freundin ins Kino gehen darf? Nimmt man die Reportage wörtlich, so erklärt sie alle Erwachsene für unmündig und die jeweiligen Eltern für lebenslang Erziehungsberechtigte. In der Reportage darf der biologische Nachwuchs nicht erwachsen werden, sondern hat lebenslang den Eltern zu gehorchen. Für Eltern und Reporter wäre die goldene Regel ratsam, die lautet: „Was du nicht willst, dass man dir tut, das füg auch keinem anderen zu”. So wie die Eltern ihrem biologischen Nachwuchs jegliche eigene Meinung absprechen, so kann der biologische Nachwuchs den Eltern jegliche Vernunft absprechen. Eltern wissen selten, was sie tun; aber sie wissen immer alles besser und wollen immer nur das Beste für den Nachwuchs. Mit der Realität stimmt es fast nie überein. Irgendwie scheint die Reportage aus einem anderen Zeitalter. Welche Funktion sie hat, bleibt unklar. Jedenfalls liegt keine Reportage über Gregors Selbstmord vor, sondern eine Anhäufung von Klischees, Stereotypen, Falschinformationen, Unterstellungen, Behauptungen, falschen Zitaten, willkürlich und wirr zusammen gewürfelten Sätzen.
Die Reportage hetzt gegen erwachsene, selbständige Frauen, konstruiert Mitglieder und Anhänger einer phantasierten, ominösen Gruppe, konstruiert eine unverständliche, phantasierte Ideologie, will suggestiv eine Meinung verbreiten, führt keinen Gedankengang zu Ende, bietet keine logische oder inhaltliche Argumentation und produziert einen Krampf, eine Katatonie im Gehirn, so man ihr folgt. Wenn man es sich überhaupt antuen will, sollte man sie als Märchen aus „TIPPIES” Wunderwelt lesen. Der beste Platz für diese Reportage ist das Große, Stählerne, Stinkige im Hinterhof - die

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